
Nein? Macht nichts! Sie sollten dennoch dringend Thomas Brussigs "Schiedsrichter Fertig" (sein Name? sein Zustand?) lesen - eine sportlich-literarische Glanzleistung, die man nur mit der Bernhardschen Frage "Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie?" qualifizieren kann (ironischerweise wurde Brussigs Opus auch im Residenz-Verlag herausgegeben, wo Bernhards autobiographischen Schriften erschienen sind).
Brussigs Schiedsrichter versetzt dem Fußball Anfang des 21. Jahrhunderts den Gnadenstoß - die Erzählung ist sicher nicht sein Meisterwerk, aber die Komik des Autors hat nichts von ihrer Schärfe verloren. In "Leben bis Männer" hatte Brussig bereits einen Fußballtrainer bis an die Grenze der Unerträglichkeit monologisieren lassen, hier schlägt er wieder zu und überrascht den Leser mit einer gnadenlosen Abrechnung mit "König Fußball":
"Das Zauberwort heißt Tatsachenentscheidung. Tatsachenentscheidung bedeutet, dass ich als Schiedsrichter, ich allein, durch meine Entscheidung anzeige, was stattgefunden hat. ich schaffe damit Tatsachen. Das ist natürlich eine ungeheure, eine gottgleiche Macht. Gegen Tatsachen ist kein Kraut gewachsen. Gegen Tatsachen lässt sich nicht protestieren oder prozessieren. Mit Tatsachen hat man sich abzufinden. Wenn ich sage, der Ball war im Tor, dann war er drin, auch wenn aus drei Perspektiven klar zu sehen ist, dass er nicht drin war. Ich entscheide, und niemand redet mir rein. Schon gar nicht die, die es betrifft. Das ist natürlich nicht die Spur demokratisch, und genau darum geht es. Wer Demokratie will, muss den Schiedsrichter abschaffen. Ohne Schiedsrichter wäre es wie im Leben. Die Spieler müssten sich untereinander einigen, und können sie es nicht, bliebe der Rechtsweg. Spielern, Trainer, Funktionären, Offiziellen, Angehörigen, Beratern, Agenten, Impresarios, Veranstaltern, Hinterbliebenen, Anwohnern, Interessenverbänden, Bürgerinitiativen, Tätern und Opfern stünden alle Rechtsmittel zur Verfügung, einschließlich den Gang zum Bundesverfassungsgericht und die Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - und wir würden uns heute noch mit der Qualifikation zur WM 1962 beschäftigen. Demokratie ist bekanntlich dann gut, wenn keine Entscheidungen getroffen werden müssen. um zu debattieren, Kompromisse zu finden, Arbeitskreise zu bilden und Verfahrensfragen zu prüfen, dafür ist die Demokratie gut. Für die Entscheidung Drin oder nicht? taugt sie nicht."